Katholische Kirche: Offener Brief

… zu den Positionierungen der ZdK-Vollversammlung und des BDKJ-Hauptausschusses vom Dezember 2022 zum geplanten „Selbstbestimmungsgesetz“

Der Offene Brief als PDF
24. Februar 2023

Sehr geehrter Herr Kardinal Dr. Marx,
sehr geehrter Herr Bischof Dr. Bätzing,
sehr geehrter Herr Prälat Dr. Jüsten,
sehr geehrter Herr Generalvikar Prälat Kestel,
sehr geehrter Herr Schalk,
sehr geehrte Frau Dr. Herrmann,

seit das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) sich, ähnlich wie die Evangelischen Frauen in Deutschland (EFiD), für das geplante sog. Selbstbestimmungsgesetz ausgesprochen haben, kontaktieren immer mehr Mitglieder beider Kirchen die Initiative Geschlecht zählt und bitten um Unterstützung.

Diese Menschen sind bestürzt und empört darüber, dass sich wichtige Vereinigungen innerhalb ihrer Kirchen für ein Gesetz einsetzen, mit dem allen Bürgerinnen und Bürgern erlaubt würde, ihr juristisches Geschlecht ohne jegliche Voraussetzung selbst zu wählen. Unverständlich ist für sie, dass offenbar nicht ansatzweise reflektiert wurde, was dies bedeutet und welche Folgen es für unsere Gesellschaft hätte.

So fühlen sich auch die katholischen Kirchenmitglieder ungewollt in eine Art Mithaftung genommen und weisen explizit darauf hin, dass die Verantwortlichen des ZdK und des BDKJ nicht im Namen „der Kirchenmitglieder“ sprechen, da die allermeisten Menschen an der Basis nicht einmal wüssten, dass es ein sog. Selbstbestimmungsgesetz geben soll.

Besonders Eltern beunruhigt es sehr, welche Entwicklung mit solchen Positionierungen in kirchlichen Einrichtungen geradezu erzwungen werden soll, denn sie befürchten die Beeinflussung ihrer Kinder. Angestellte kirchlicher Einrichtungen sorgen sich, dass sie dazu gezwungen würden, der Doktrin einer Minderheit zu folgen, die ihrem Verständnis von Geschlecht widerspricht.

Diese Kirchenmitglieder wünschen sich deshalb auch innerkirchlich eine breite Diskussion zu diesem höchst umstrittenen Gesetzesvorhaben. Allerdings wollen nur wenige von ihnen in die direkte Auseinandersetzung in ihren Kirchengemeinden gehen, da sie in der derzeitigen gesellschaftlichen Stimmung ausgrenzende „Shitstorms“ befürchten, ob innerkirchlich oder in den sozialen und anderen Medien.

Auf diesem Hintergrund wendet sich Geschlecht zählt mit diesem Offenen Brief an Sie in der Hoffnung, einen aktiven Diskurs zwischen Kirchenverantwortlichen und Basis mit befördern zu können. Dazu erlauben wir uns, die Stellungnahmen des ZdK und BDKJ in das gesellschaftliche Spannungsfeld des Gesetzesvorhabens und den politischen Kontext einzuordnen.

Wir skizzieren zunächst, was es mit dem sog. Selbstbestimmungsgesetz auf sich hat, da in der Tat die allermeisten Menschen davon noch nichts gehört haben. In einem zweiten Schritt stellen wir anhand der beiden Stellungnahmen dar, was nicht nur die Mitglieder Ihrer Kirche daran beunruhigt.

Worum geht es?

Das sog. Selbstbestimmungsgesetz soll an die Stelle des Transsexuellengesetzes (TSG) treten, das derzeit die Änderung des Geschlechtseintrags von transsexuellen Personen regelt und dafür ein Verfahren mit zwei Sachverständigen-Gutachten und spezifischen Maßnahmen voraussetzt. Zukünftig soll für diese Änderung eine „Erklärung mit Eigenversicherung“ der Person beim Standesamt ausreichen, dass die „Geschlechtsidentität“ nicht mit dem Geschlechtseintrag übereinstimmt. Weder die Vorlage eines ärztlichen Attests noch eine Begutachtung soll mehr nötig sein. So sieht es das Eckpunktepapier der Bundesregierung zum Selbstbestimmungsgesetz vor.

Damit der Eintrag im Personenstandsregister, der ja das unveränderbare körperlich-biologische Geschlecht einer Person amtlich dokumentiert, künftig per einfacher Erklärung geändert werden könnte, wäre eine fundamentale Neuausrichtung unseres Rechtssystems beim Thema Geschlecht notwendig, die aber nicht öffentlich thematisiert wird: Die juristische Kategorie „Geschlecht“ müsste durch „Geschlechtsidentität“ ersetzt oder neu definiert werden.

Wer zukünftig rechtlich als Frau oder als Mann gilt, wäre folglich nicht mehr vom körperlichen-biologischen Geschlecht einer Person abhängig, ausschlaggebend wäre eine persönlich gefühlte „Geschlechtsidentität“ (gender identity). Jeder Mann, der sich als Frau fühlt, könnte sofort rechtlich zur Frau werden – und jede Frau zum Mann.

Somit wäre das „Selbstbestimmungsgesetz“ kein Sondergesetz für „transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen“, wie im Eckpunktepapier irreführend der Eindruck erweckt wird. Diese grundlegende Veränderung in unserem Rechtssystem würde zwangsläufig alle Bürgerinnen und Bürger einschließen. Sie hätte Auswirkungen auf alle anderen Gesetze, für die die Kategorie „Geschlecht“ relevant ist, u.a. im Familienrecht und im Arbeitsrecht. Sie hätte vor allem Auswirkungen auf die geschlechtsbedingten Menschenrechte von Frauen (und Mädchen) und die Menschenrechte von Kindern allgemein, die in je eigenen UN-Konventionen verbrieft sind.

Warum diese Zusammenhänge im Eckpunktepapier nicht erwähnt werden, haben wir hier analysiert. Weitere Informationen zum Hintergrund, den gesellschaftlichen Auswirkungen und warum das Gesetzesvorhaben bewusst irreführend kommuniziert und nahezu völlig unter dem Radar der Öffentlichkeit vorangetrieben wird, stehen ebenfalls auf unserer Website bereit.

Was bedeutet „Geschlechtsidentität“?

Der Begriff „Geschlechtsidentität“ meint im Kontext „Selbstbestimmungsgesetz“ nicht das geschlechtliche Selbstverständnis einer weiblichen oder männlichen Person, wie er klassisch verstanden wird. Hier bezeichnet er das transgenderideologische Konstrukt gender identity, was im Deutschen bewusst irreführend als „Geschlechtsidentität“ übersetzt wird.

„Geschlechtsrollen-Identität“ wäre die korrekte Bezeichnung dafür. Gemeint ist nämlich die stereotype „Geschlechtsrolle“, in der eine Person ihre „Geschlechtsidentität“ ausleben möchte – ganz unabhängig von ihrem Körper. Das bedeutet: Frau oder Mann ist, wer sich als solche/r „fühlt“ und sich selbst als solche/r bezeichnet. In diesem Verständnis gibt es auch „Frauen mit Penis“ und „Männer mit Vulva“.

Das Empfinden einer „Gender-“ bzw. „Geschlechtsidentität“ bezieht sich dabei jedoch nicht nur auf die klischeehaft konstruierte Rolle als Frau oder Mann. Als fühlbare oder gefühlte „Identitäten“ stehen im LGBTIQSpektrum inzwischen ca. 70 Optionen zur Wahl, darunter „non-binär“, „agender“, „genderfluid“ etc. – einschließlich aller Paraphilien und Fetische als Ausdrucksform einer individuellen „geschlechtlichen Identität“. Pädophile, die sich als Teil der queeren Community sehen, fordern unterdessen offen die Ergänzung von LGBTIQ+/* um das P für die Pädosexuellen.

Theoretisch begründet wird das Konstrukt „Genderidentität“ im Manifest der Transgender-Rechtsbewegung: den „Yogyakarta Principles“. Dieses Papier finden Sie hier analysiert.

Die Erklärung der ZdK-Vollversammlung:Paradigmenwechsel bei Namensänderung und Geschlechtseintrag umsetzen

Allein der Duktus, in dem dieses Papier verfasst wurde, erweckt den Eindruck, dass der Text den Autorinnen und Autoren direkt von Transgender-Rechtsaktivisten in die Feder diktiert wurde. Sowohl die verwendeten Begrifflichkeiten als auch die Argumente, mit denen das geplante sog. Selbstbestimmungsgesetz „mit besonderem Nachdruck unterstützt und befürwortet“ wird (S. 1), wurden offenbar fast wortwörtlich deren Forderungskatalog entnommen. Es werden Termini benutzt, die als strategisch eingesetzte Sprachmanipulationen gedeutet werden können, und gezielt wird verschleiert, worum es wirklich geht.

Zwei Beispiele:

  • Es wird durchgängig von „trans* und inter* Menschen“ gesprochen und so der Eindruck erweckt, Transgender bildeten mit transsexuellen und intersexuellen Personen eine homogene Gruppe, die dieselben Interessen und Forderungen hätten.
    Fakt ist: Beim „Selbstbestimmungsgesetz“ geht es jedoch ausschließlich um die Forderung der (meist männlichen) Transgender-Rechtsaktivisten einer voraussetzungslosen „Geschlechtswahl“: Weil es keine Zweigeschlechtlichkeit, sondern „viele Geschlechter“ gäbe, so behaupten sie, seien nicht körperlich-biologische Merkmale, sondern die persönliche „Geschlechtsidentität“ das Indiz für Geschlecht. Die juristische Kategorie Geschlecht müsse folglich durch „Geschlechtsidentität“ ersetzt bzw. neu definiert werden.
    Transsexuelle Personen lehnen die Forderungen der Transgender-Rechtsaktivisten explizit ab. Ihr Interesse ist es ja gerade, sich innerhalb der Binarität der Geschlechter neu zuzuordnen und den Körper mittels „geschlechtsangleichender“ Maßnahmen an den des anderen Geschlechts anzupassen.
    Intergeschlechtliche bzw. intersexuelle Personen haben aufgrund ihrer körperlich-biologisch bedingten Eigenschaften seit Ende 2018 die Möglichkeit, als Geschlechtseintrag neben „weiblich“ und „männlich“ und dessen Offenlassen auch „divers“ zu wählen.
  • Es wird mit Bundesverfassungsgerichts-Urteilen argumentiert, die eine Reformierung des Transsexuellengesetzes (TSG) anzeigen. Hingewiesen wird dabei auf die zwei Gutachten, die das TSG als angemessenen Nachweis der Glaubwürdigkeit einer angestrebten „Geschlechtsänderung“ vorschreibt. Diese werden als „untragbare Fremdbestimmung“ bezeichnet. Transgender-Rechtsaktivisten fordern deshalb, das TSG abzuschaffen und mit dem Selbstbestimmungsgesetz zu ersetzen.
    Fakt ist: Den Nachweis der Glaubwürdigkeit einer angestrebten „Geschlechtsänderung“ hat das Bundesverfassungsgericht nicht beanstandet. Im Gegenteil, es sagt ausdrücklich, dass das Merkmal Geschlecht valide sein muss, da sich daran Rechte und Strukturen der Gesellschaft orientieren. Beispiele dafür sind der Mutterschutz oder Frauenfördermaßnahmen.

Bemerkenswert ist jedoch vor allem, dass bei der Positionierung des ZdK zentrale Fragen, die den Gesetzgebungsprozess betreffen, offenbar keine Rolle gespielt haben, z.B.:

  • Warum versucht die Regierung, dieses Gesetz unter dem Radar der Öffentlichkeit und ohne breite gesellschaftliche Debatte durchzusetzen? Sie folgt bei dieser Vorgehensweise einem von Juristen der weltgrößten Anwaltskanzlei Dentons verfassten Strategiepapier mit Empfehlungen, wie dabei vorzugehen ist.
  • Warum ist von der Regierung keine Rechtsfolgenabschätzung für das geplante Gesetz vorgesehen, weder bezogen auf die geschlechtsbedingten Rechte von Frauen und Mädchen noch auf die Rechte von Kindern allgemein?
  • Warum soll dieses Gesetz ein „sanktionsbewehrtes Offenbarungsverbot“ beinhalten, mit dem die Gesellschaft per Strafandrohung gezwungen würde, die Realität zu leugnen und Geschichtsklitterung zu betreiben, z.B. durch nachträglich geänderte Geburtsurkunden und Taufscheine?
  • Warum wird geduldet, dass Transgender-Rechtsaktivisten ihre Interessen mit einer solchen Aggressivität gegen Andersdenkende vertreten, dass ein demokratischer Diskurs kaum möglich ist?
  • Warum wird geduldet, dass Frauen, die das Gesetz kritisieren und auf die Gefahren für ihre Rechte hinweisen, von Männern, die behaupten, Frauen zu sein, diffamiert und mit sexualisierter Gewalt bedroht werden?
  • Warum duldet die Ampelregierung, dass der für dieses Gesetz zuständige Parlamentarische Staatssekretär im Familienministerium öffentlich applaudiert, wenn Frauen in diesem Zusammenhang von einem „Satiriker“ als „Scheißhaufen“ entmenschlicht werden?

Der Beschluss „Selbstbestimmt & diskriminierungsfrei!“ des BDKJ-Hauptausschusses vom Dezember 2022

Erkennbar ist, dass sich die Verantwortlichen dieses Antrags bzw. Beschlusses nicht mit dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz auseinandergesetzt haben. Im Gegenteil: Sie scheinen buchstäblich instrumentalisiert worden zu sein, denn in dem Beschluss werden lediglich in anderen Worten die Aussagen von Transgender-Rechtsaktivisten wiederholt. Ein Beispiel:

„Wir halten fest, dass die Pläne für das Gesetz in Form der Eckpunkte, entgegen der laut werdenden Kritik, keine Gefahr für Kinder und Jugendliche oder eine Form der Indoktrinierung darstellen. Wir kritisieren jedoch, dass dies nur mit Einverständnis der Sorgeberechtigten oder einem Familiengericht erfolgen kann. Sorgeberechtigte dürfen Kinder und Jugendliche nicht fremdbestimmt an der Bestimmung ihrer Geschlechtsidentität hindern.“

Gerade die folgende Aussage deutet auf eine Instrumentalisierung hin:

„Leider beobachten wir, dass die gesellschaftliche Stimmung in Bezug auf das geplante Gesetz gezielt von transfeindlichen Positionen und rechten Stimmen beeinflusst wird, die Unbehagen und Ängste schüren sowie Fehlinformationen verbreiten. Beispielsweise hat das angedachte Selbstbestimmungsgesetz nichts mit medizinischen Eingriffen zu tun, sondern will lediglich den Personenstand regeln.“

Hätten sich die Verantwortlichen des BDKJ mit dem Gesetzesvorhaben auseinandergesetzt, hätten sie realisieren müssen, dass Kinder und Jugendliche – mit Methoden wie im Iglyo-Dentons-Papier „Only adults?“ empfohlen – auf den Transitions-Weg gelenkt werden, der über Pubertätsblocker und gegengeschlechtliche Hormone direkt auf die OP-Tische von sog. Genderkliniken führt. Hat ein Kind erst seinen Geschlechtseintrag geändert, passt schließlich der Körper nicht mehr dazu.

Den Verantwortlichen wäre zudem nicht verborgen geblieben, dass der Paritätische Wohlfahrtsverband in seinen Broschüren die Lehre von einer Geschlechts(rollen)identität auch für „transKinder“ der Altersgruppen 0 bis 6 und 6 bis 12 Jahre verbreitet und damit gezielt der Transgender-Rechtslobby zuarbeitet. Zwangsläufig hätten sie auch zur Kenntnis nehmen müssen, dass das Bundesfamilienministerium Kindern bis vor Kurzem Pubertätsblocker explizit empfohlen hat.

Weiter wären die Verantwortlichen unweigerlich auf Berichte über die kürzlich geschlossene Londoner Tavistock-Klinik und die vierteilige schwedische Dokumentation The Trans Train gestoßen. In beiden Fällen wurde aufgedeckt, wie an Kindern und Jugendlichen ohne ausreichende Beratung medizinische Behandlungen vorgenommen wurden.

Fazit

Sowohl die Stellungnahme des ZdK als auch die des BDKJ lassen erkennen, dass deren Verfasserinnen und Verfasser sich bei ihrer Positionierung mit dem Vorhaben „Selbstbestimmungs-gesetz“ entweder nicht selbst vertraut gemacht oder aber die kritische Auseinandersetzung damit bewusst vernachlässigt haben. Die Forderungen von Transgender-Rechtsaktivisten werden unreflektiert übernommen und sogar noch bekräftigt. Zentrale Fragen zum Gesetzgebungsprozess werden genauso ignoriert wie die nicht mehr überhörbare Kritik der Menschen, die inzwischen auf das Vorhaben „Selbstbestimmungsgesetz“ aufmerksam wurden. Außen vor gelassen werden auch die Erfahrungsberichte aus Ländern, in denen es bereits ähnliche Gesetze gibt und die auf die negativen Auswirkungen besonders auf Kinder und Frauen hinweisen.

Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist es verständlich, dass gerade Eltern und Kirchenmit- arbeiter/innen sehr besorgt sind.

Geschlecht zählt bittet Sie als wichtige Vertreterinnen und Vertreter der katholischen Kirche um Ihre Stellungnahme zum geplanten Selbstbestimmungsgesetz.

Mit freundlichen Grüßen
Hilde Schwathe
– Für die Initiative Geschlecht zählt