Wie begründet die Regierung ihr neues Krankenkassen-Gesetz?
Parallel zum Selbstbestimmungsgesetz bereitet die Regierung ein neues Krankenkassengesetz zur Gesundheitsversorgung von „Transpersonen“ vor. Es soll die Kostenübernahme von Pubertätsblockern, Hormonen und Amputations-OPs durch die gesetzliche Krankenversicherung regeln. Seine Begründung könnte bereits vorliegen.
Koalitionsvertrag: GKV muss zahlen für Hormone und OPs
„Die Kosten geschlechtsangleichender Behandlungen müssen vollständig von der GKV übernommen werden“, heißt es im Koalitionsvertrag der Regierung. Das sog. Selbstbestimmungsgesetz aber schließt eine Regelung dafür explizit aus, daher soll der Gesundheitsminister dies in einem neuen Krankenkassen-Gesetz regeln. Der identitätspolitisch geprägte Aufsatz eines hochrangigen Medizinrechtlers und Parteigenossen könnte ihm dabei helfen. Der Inhalt dürfte in einem Fachgespräch der Grünen am 1. Dezember 2023 im Bundestag eine wichtige Rolle spielen.
Regierung braucht neue Rechtfertigung für Kostenübernahme
Die Regierung hat eine juristische Zwickmühle zu bewältigen. Seit 2022 gelten „Transsexualität“, „Transidentität“ oder „Transgeschlechtlichkeit“, neuerdings „Geschlechtsinkongruenz“ genannt, nicht mehr als Krankheit oder Störung. Daher kann es dafür nach herkömmlichen Maßstäben auch keine Heilbehandlung geben, für die die Kasse zahlen müsste.
Gesundheitsminister Lauterbach muss also eine andere rechtliche Argumentation finden, warum Hormonbehandlungen von und Eingriffe in gesunde Körper von der Solidargemeinschaft aller gesetzlich Versicherten bezahlt werden sollen.
„Hormonbehandlungen bei Jugendlichen zu Lasten der GKV“
Als juristische Begründung könnte dem Gesundheitsminister dabei der Inhalt dieses Aufsatzes mit Gutachtencharakter vom Februar 2023 dienen: Hormonbehandlungen bei geschlechtsinkongruenten oder geschlechtsdysphorischen Jugendlichen zu Lasten der GKV. Verfasst haben ihn die Rechtswissenschaftler/innen Stefan Huster, Anke Harney und Friederike Kohlenbach in der Zeitschrift „Medizinrecht“. Harney vertritt bei dem Fachgespräch „Gesundheitsversorgung von trans* Menschen“ der Grünen am 1. Dezember 23 den Bereich Recht und dürfte den Inhalt des Beitrags referieren.
Huster und Mitautorinnen analysieren und argumentieren, mit welcher Begründung Kindern, Jugendlichen und letztlich auch Erwachsenen, die sich „transident“, „transgender“ oder „nonbinär“ nennen, durch die gesetzliche Krankenversicherung die Behandlungskosten für Pubertätsblocker, Geschlechtshormone und Amputations-Operationen gezahlt werden sollten.
Begründung für Krankenkassen-Gesetz
Dabei wird versucht, medizinrechtliche Begriffe so auszulegen, dass ein Anspruch auf Kassenleistung gesetzlich installiert werden könnte. Dazu wird ein Teil des GKV-Rechtsvokabulars zerlegt, um es in neuer Interpretation wieder zusammenzusetzen. So heißt es: „Nicht (allein) der Prüfungsschritt der ‚Krankheit‘, sondern vor allem der der ‚medizinischen Indikation‘ legt offen, worin das auslösende und rechtfertigende Moment für die Behandlung gesehen wird.“ Das Gutachten bohrt sich dann geradezu in die Definition des Begriffs der medizinischen Indikation und dabei in die „diagnostischen Entitäten“.
Letztlich wird dafür argumentiert, den Leidensdruck von Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie und sogar schon das Risiko eines solchen Leidensdrucks als Kriterium für den Leistungsanspruch bei der Verordnung von pubertätshemmenden Arzneimitteln und „geschlechtsangleichenden Hormonbehandlungen“ anzuerkennen. Für den Anspruch auf Krankenbehandlung wird geschlossen: „Es liegen daher gute Gründe für eine Einordnung des Erkrankungsrisikos GD [Geschlechtsdysphorie] als Krankheit im Rechtssinne vor.“
Der Aufsatz ist damit eine Begründungsvorlage, um im Sozialgesetzbuch V (SGB V, gesetzliche Krankenversicherung) eine Regelung zu schaffen, auf deren Grundlage der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) dann eine Empfehlung an die Krankenkassen aussprechen kann. Der G-BA ist das höchste Gremium der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen.
Wer hat den Aufsatz verfasst?
Huster ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie sowie geschäftsführender Direktor des Instituts für Sozial- und Gesundheitsrecht (ISGR) an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Als Koriphäe für die Verbindung von Medizin- und Verfassungsrecht ist er u.a. Mitglied der Zentralen Ethikkommission (ZEKO) der Bundesärztekammer. Zudem ist er SPD-Mitglied und gehörte von 2008 bis 2012 dem Landesvorstand der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (ASJ) in Nordrhein-Westfalen an.
Anke Harney ist Rechtsanwältin bei Solidaris, Prüfungs- & Beratungsgesellschaften für Gesundheits- & Sozialwirtschaft, und wie Friederike Kohlenbach wissenschaftliche Mitarbeiterin an Husters Lehrstuhl.
Identitätspolitik hält Einzug ins Medizinrecht
Ideologisch sind der Autor und die Autorinnen in der Theorie der „Gender Identity“ zu verorten, die die menschliche Zweigeschlechtlichkeit leugnet. Sie nutzen im Aufsatz Begriffe wie „Cis-Menschen“ oder „Zuweisungsgeschlecht“. „Transidentität“ wird als „Varianten der Identitätsentwicklung“ definiert, der Ausdruck wurde offenbar in Analogie zu „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ bei intergeschlechtlichen Menschen geschaffen.
Mit den Winkelzügen juristischer Interpretation in diesem Aufsatz würde die Identitätspolitik direkt ins deutsche Medizinrecht geschrieben.
Die Rolle von Georg Romer
Beim Fachgespräch der Grünen wird direkt vor Harney der Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Dr. Georg Romer vom Universitätsklinikum Münster auftreten. Ihm wird im Huster-Text an prominenter Stelle gedankt für Idee und beratende Mitwirkung. Häufig zitiert wird ein Beitrag, den Romer 2022 mit Dr. Thomas Lempp verfasst hat.
Romer ist in Deutschland derzeit der prominenteste Befürworter des Einsatzes von Pubertätsblockern bei Kindern. Es dürfte in seinem Interesse liegen, wenn die Verordnung als Kassenleistung gesetzlich abgesichert würde. Unklar ist allerdings, wer den Text von Huster, Harney und Kohlenbach letztlich beauftragt und seine Erstellung honoriert hat.
Medizinisch-psychiatrische Bedenken gegen Pubertätsblocker spielen keine Rolle mehr
Die massive Kritik von Experten und Expertinnen wie etwa des Kinder- und Jugendpsychiaters Dr. Alexander Korte gegen den Einsatz von Pubertätsblockern werden vom Tisch gewischt: „Das Risikoprofil der Pubertätsunterdrückung ist insofern günstig“, heißt es im Huster-Aufsatz, „als dass sie im Hinblick auf die körperliche Reifung vollständig reversibel ist, d.h. nach einem evtl. Absetzen der Behandlung würde eine vollständige pubertäre Entwicklung im Geburtsgeschlecht ermöglicht.“
Erkenntnisse aus anderen Ländern dazu ignoriert der Beitrag, obwohl diese bereits zu Verboten der Verschreibung von Pubertätsblockern geführt haben wie in Finnland, Großbritannien oder Schweden. Der Bundestag veröffentlichte dazu kürzlich den Sachstand Gesetzliche Verbote von Pubertätsblockern im Ausland.
Gegenentwurf: Für eine Behandlung, die das Kindeswohl im Auge behält
Über den Medizin-Skandal, dass Kindern Pubertätsblocker – eigentlich Krebsmedikamente – in Deutschland derzeit schon Off-Label, also ohne Zulassung der Arzneimittel für diesen Zweck verschrieben werden, berichtet die Zeitschrift EMMA in ihrer aktuellen Ausgabe ausführlich. Genauso über die grausame Marketing-Lüge, die Wirkung von Pubertätsblockern bei Kindern sei umkehrbar.
Einen Gegenentwurf für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen, die ein Unbehagen mit ihrem Geschlecht empfinden, haben jüngst die Kinder- und Jugendpsychiater Alexander Korte und Volker Tschuschke in ihrem frei zugänglichen Beitrag Sturm und Drang im Würgegriff der Medien – Die Leiden der jungen Generation am eigenen Geschlecht in der Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie veröffentlicht. Korte ist Leitender Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Klinikum der Ludwig Maximilians Universität München, Prof. Dr. Volker Tschuschke ist Psychologe, Psychoanalytiker und Soziologe.