Evangelische Kirche: Offener Brief

… zu der Positionierung der Evangelischen Frauen in Deutschland (EFiD) zum geplanten „Selbstbestimmungsgesetz“ vom Oktober 2022

Der Offene Brief als PDF
24. Februar 2023

Sehr geehrte Frau Dr. Kurschus,
sehr geehrte Frau Gidion,
sehr geehrte Frau Steinhaus,
sehr geehrter Herr Prof. Dr. Bedford-Strohm,
sehr geehrter Herr Renau,
sehr geehrte Frau Prof. Dr. Dr. h.c. Käßmann,

seit die Evangelischen Frauen in Deutschland e.V. (EFiD) ihre Unterstützung für das geplante „Selbstbestimmungsgesetz“ der Ampelregierung öffentlich gemacht haben, wenden sich immer mehr Mitglieder Ihrer Kirche an die Initiative Geschlecht zählt und bitten um Unterstützung.

Diese Menschen sind bestürzt und empört darüber, dass sich die Evangelischen Frauen in Deutschland für ein Gesetz einsetzen, mit dem Menschen erlaubt würde, ihr juristisches Geschlecht ohne jegliche Voraussetzung selbst zu wählen. Unverständlich ist für sie, dass offenbar nicht ansatzweise reflektiert wurde, was dies bedeutet und welche Folgen es nicht nur für Frauen, sondern für die ganze Gesellschaft hätte.

Die Kirchenmitglieder sind entsetzt über das „ausgesprochen frauenverachtende Positionspapier“, wie es eine Frau nannte, die sich in ihrer Gemeinde engagiert. Sie alle fühlen sich ungewollt in eine Art Mithaftung genommen und weisen explizit darauf hin, dass die EFiD-Verantwortlichen weder im Namen „der“ evangelischen Frauen noch im Namen „der“ Mitglieder der evangelischen Kirche sprechen. Die meisten Menschen an der Basis wüssten nicht einmal, dass es ein sogenanntes Selbstbestimmungsgesetz geben soll.

Diese Menschen sorgen sich aber vor allem darum, dass mit dieser Stellungnahme die offizielle Haltung ihrer Kirche zu diesem höchst umstrittenen Gesetzesvorhaben einseitig beeinflusst werden soll. Sie wünschen sich deshalb innerkirchlich eine offene Diskussion. Allerdings scheuen sich die meisten von ihnen, den direkten Kontakt zu ihrer Kirchenleitung zu suchen, weil sie in der derzeitigen gesellschaftlichen Stimmung ausgrenzende „Shitstorms“ von Befürwortern des Gesetzes gegen ihre Person befürchten, ob innerkirchlich oder in den sozialen und anderen Medien.

Auf diesem Hintergrund wendet sich Geschlecht zählt mit diesem Offenen Brief an Sie in der Hoffnung, einen aktiven Diskurs zwischen Kirchenverantwortlichen und Basis mit befördern zu können. Dazu erlauben wir uns, die Stellungnahme der EFiD in das gesellschaftliche Spannungsfeld des Gesetzesvorhabens und den politischen Kontext einzuordnen.

Wir skizzieren zunächst, was es mit dem sog. Selbstbestimmungsgesetz auf sich hat, da in der Tat die allermeisten Menschen davon noch nichts gehört haben. In einem zweiten Schritt stellen wir anhand des Positionspapiers der EFiD dar, was nicht nur die Mitglieder der evangelischen Kirche daran beunruhigt.

Worum geht es?

Das sog. Selbstbestimmungsgesetz soll an die Stelle des Transsexuellengesetzes (TSG) treten, das derzeit die Änderung des Geschlechtseintrags von transsexuellen Personen regelt und dafür ein Verfahren mit zwei Sachverständigen-Gutachten und spezifischen Maßnahmen voraussetzt. Zukünftig soll für diese Änderung eine „Erklärung mit Eigenversicherung“ der Person beim Standesamt ausreichen, dass die „Geschlechtsidentität“ nicht mit dem Geschlechtseintrag übereinstimmt. Weder die Vorlage eines ärztlichen Attests noch eine Begutachtung soll mehr nötig sein. So sieht es das Eckpunktepapier der Bundesregierung zum Selbstbestimmungsgesetz vor.

Damit der Eintrag im Personenstandsregister, der ja das unveränderbare körperlich-biologische Geschlecht einer Person amtlich dokumentiert, künftig per einfacher Erklärung geändert werden könnte, wäre eine fundamentale Neuausrichtung unseres Rechtssystems beim Thema Geschlecht notwendig, die aber nicht öffentlich thematisiert wird: Die juristische Kategorie „Geschlecht“ müsste durch „Geschlechtsidentität“ ersetzt oder neu definiert werden.

Wer zukünftig rechtlich als Frau oder Mann gilt, wäre folglich nicht mehr vom körperlichen-biologischen Geschlecht einer Person abhängig, ausschlaggebend wäre allein eine persönlich gefühlte „Geschlechtsidentität“ (gender identity). Jeder Mann, der sich als Frau „fühlt“, könnte sofort rechtlich zur Frau werden – und jede Frau zum Mann.

Somit wäre das „Selbstbestimmungsgesetz“ kein Sondergesetz für „transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen“, wie im Eckpunktepapier irreführend der Eindruck erweckt wird. Diese grundlegende Veränderung in unserem Rechtssystem würde zwangsläufig alle Bürgerinnen und Bürger einschließen. Sie hätte Auswirkungen auf alle anderen Gesetze, für die die Kategorie „Geschlecht“ relevant ist, u.a. im Familienrecht und im Arbeitsrecht. Sie hätte vor allem Auswirkungen auf die geschlechtsbedingten Menschenrechte von Frauen (und Mädchen) und die Menschenrechte von Kindern allgemein, die in je eigenen UN-Konventionen verbrieft sind.

Warum diese Zusammenhänge im Eckpunktepapier nicht erwähnt werden, haben wir hier analysiert. Weitere Informationen zum Hintergrund, den gesellschaftlichen Auswirkungen und warum das Gesetzesvorhaben bewusst irreführend kommuniziert und nahezu völlig unter dem Radar der Öffentlichkeit vorangetrieben wird, stehen ebenfalls auf unserer Website bereit.

Was bedeutet „Geschlechtsidentität“?

Der Begriff „Geschlechtsidentität“ meint im Kontext „Selbstbestimmungsgesetz“ nicht das geschlechtliche Selbstverständnis einer weiblichen oder männlichen Person, wie er klassisch verstanden wird. Hier bezeichnet er das transgenderideologische Konstrukt gender identity, was im Deutschen bewusst irreführend als „Geschlechtsidentität“ übersetzt wird.

„Geschlechtsrollen-Identität“ wäre die korrekte Bezeichnung dafür. Gemeint ist nämlich die stereotype „Geschlechtsrolle“, in der eine Person ihre „Geschlechtsidentität“ ausleben möchte – ganz unabhängig von ihrem Körper. Das bedeutet: Frau oder Mann ist, wer sich als solche/r „fühlt“ und sich selbst als solche/r bezeichnet. In diesem Verständnis gibt es auch „Frauen mit Penis“ und „Männer mit Vulva“.

Das Empfinden einer „Gender-“ bzw. „Geschlechtsidentität“ bezieht sich dabei jedoch nicht nur auf die klischeehaft konstruierte Rolle als Frau oder Mann. Als fühlbare oder gefühlte „Identitäten“ stehen im LGBTIQSpektrum inzwischen ca. 70 Optionen zur Wahl, darunter „non-binär“, „agender“, „genderfluid“ etc. – einschließlich aller Paraphilien und Fetische als Ausdrucksform einer individuellen „geschlechtlichen Identität“. Pädophile, die sich als Teil der queeren Community sehen, fordern unterdessen offen die Ergänzung von LGBTIQ+/* um das P für die Pädosexuellen.

Theoretisch begründet wird das Konstrukt „Genderidentität“ im Manifest der Transgender-Rechtsbewegung: den „Yogyakarta Principles“. Dieses Papier finden Sie hier analysiert.

Das Positionspapier der Evangelischen Frauen in Deutschland: „Zum Recht auf Selbstbestimmung transgeschlechtlicher Menschen. Positionierung der Evangelischen Frauen in Deutschland e.V. zum Transsexuellengesetz“

Das Positionspapier enthält zwei zentrale Aussagen:

1. Die Verfasserinnen betonen, dass die EFiD sich für das Recht auf Selbstbestimmung von Frauen einsetzen, was u.a. die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die Bestimmung über die eigene Reproduktion und die freie Entfaltung der Persönlichkeit einschließt.

Weil das „eigene Geschlechtsempfinden eines jeden Menschen“ für sie maßgeblich sei, respektierten sie „jeden Menschen, der sich als Frau identifiziert“, auch als solche.

Mit diesem Statement beziehen sich die Autorinnen explizit auf die Deutsche Gesellschaft für Transidentität e.V. (dgti), mit der sie davon ausgehen, dass die „Geschlechtsidentität eines Menschen nichts mit Körpermerkmalen zu tun hat, das Geschlecht eines Menschen nicht zwangsläufig durch das Erscheinungsbild oder das Verhalten erkennbar ist“. Zusätzlich verweisen die Autorinnen auf den biblischen Schöpfungsbericht, der für sie genug Interpretationsspielraum biete, um diese Aussage ausführlich zu untermauern.

Notwendig sei deshalb ein Selbstbestimmungsgesetz, „das das Geschlechtsempfinden ernstnimmt und den Geschlechtseintrag sowie eine Namensänderung in Ausweispapieren neu regelt.“ Dieses Statement wird unterstrichen mit dem Mantra der Transgender-Rechtsaktivisten: „Eine trans Frau ist eine Frau.“

2. Die EFiD betonen, dass „schützende Räume für Frauen mit Gewalterfahrung, für lesbische und andere Frauen“ unbedingt notwendig seien – und „dies gilt auch für trans Frauen“.

Deshalb plädieren sie dafür, dass „trans Frauen“ Zugang zu diesen Schutzräumen für Frauen erhalten, da dadurch eine Gefährdung für Frauen nicht erkennbar sei.

Gemeint ist damit: Auch Frauenhäuser, die für Männer tabu sind, weil sie Zufluchtsstätten für traumatisierte Frauen sind, die von Männern geschlagen, gedemütigt und sexuell misshandelt wurden, sollen für „trans Frauen“ zugänglich sein, also für Männer, die sich im Besitz ihrer männlichen Genitalien „per Eigenversicherung“ selbst zu Frauen erklären. Auch verurteilte Sexualstraftäter, die sich zu Frauen erklären, sollen in Frauengefängnissen untergebracht werden können.

Mit diesem Statement wird, ohne es explizit zu benennen, die Argumentation des Dachverbands Deutscher Frauenrat e.V. übernommen, dessen Mitglied der Verein EFiD ist. Der Deutsche Frauenrat unterstützt als selbsternannte „Frauenlobby“ die Ampelregierungdabei, die Öffnung von Frauen-Schutzräumen für Männer, die behaupten, Frauen zu sein, voranzutreiben.

Warum der Deutsche Frauenrat bei der Forderung nach Öffnung der Frauenhäuser für diese Männer als Sprachrohr der Regierung dient, beleuchten wir hier.

Fazit

Das Papier der EFiD lässt erkennen, dass dessen Verfasserinnen sich bei ihrer Positionierung mit dem Vorhaben „Selbstbestimmungsgesetz“ nicht vertraut gemacht haben. Vielmehr wurden unreflektiert die frauenverachtenden Positionen von Transgender-Rechtsaktivisten übernommen einschließlich deren strategisch eingesetzten Sprachmanipulationen.

So sprechen die EFiD z.B. von „trans Frauen“ und „transgeschlechtlichen Menschen“, offenbar ohne zu realisieren, dass dies lediglich sprachliche Kreationen der Transgenderideologie sind: Damit wird suggeriert, es gäbe neben weiblichen und männlichen auch noch andersgeschlechtliche Menschen.

Das Gleiche gilt für das Mantra der Transgender-Rechtsaktivisten, „Eine trans Frau ist eine Frau“, mit dem die Verfasserinnen des Positionspapiers ihr Statement unterstreichen. Warum die EFiD ignorieren, dass Frauen Personen weiblichen Geschlechts sind, bleibt dahingestellt.

Wie sich die EFiD dann weiterhin für die Rechte von Frauen einsetzen könnten, wenn sie gleichzeitig Männer, die behaupten, Frauen zu sein, in die Geschlechtsgruppe der Frauen mit einbeziehen wollen, wurde offenbar nicht hinterfragt. Schließlich sind die Frauenrechte, für die sie sich laut Selbstauskunft einsetzen, die geschlechtsbedingten – also auf den Körper bezogenen – Menschenrechte von Frauen, wie sie in der UN-Frauenrechtskonvention verbrieft sind.

Transgender-Männer, die behaupten, Frauen zu sein, fordern, in diese Rechte mit einbezogen zu werden, weil sie sich als Frauen „fühlen“. Frauen sind jedoch Frauen.

Hätten sich die EFiD mit dem Gesetzesvorhaben auseinandergesetzt, hätten sie die Berichte aus Ländern, die ähnliche Gesetze bereits haben, zur Kenntnis nehmen müssen. Die jüngsten Nachrichten aus Schottland über einen verurteilten Vergewaltiger, der plötzlich seine „weibliche Geschlechtsidentität“ entdeckte, um in einem Frauengefängnis untergebracht zu werden, beschreibt leider keinen Einzelfall. Kaum mehr zu ignorieren sind auch die Berichte über Diffamierungen und Bedrohungen, die vor allem junge lesbische Frauen erleben, wenn sie die Männer, die behaupten, „lesbische Frauen“ zu sein, als Sexualpartner ablehnen.

Aufschlussreich ist, dass selbst zentrale Fragen, die den Gesetzgebungsprozess betreffen, bei der Positionierung offenbar keine Rolle spielten, z.B.:

  • Warum versucht die Regierung, dieses Gesetz unter dem Radar der Öffentlichkeit und ohne breite gesellschaftliche Debatte durchzusetzen? Sie folgt bei dieser Vorgehensweise einem von Juristen der weltgrößten Anwaltskanzlei Dentons verfassten Strategiepapier mit Empfehlungen, wie dabei vorzugehen ist.
  • Warum ist von der Regierung keine Rechtsfolgenabschätzung für das geplante Gesetz vorgesehen, weder bezogen auf die geschlechtsbedingten Rechte von Frauen und Mädchen noch auf die Rechte von Kindern allgemein?
  • Warum soll dieses Gesetz ein „sanktionsbewehrtes Offenbarungsverbot“ enthalten, mit dem die Gesellschaft per Strafandrohung gezwungen würde, die Realität zu leugnen und Geschichtsklitterung zu betreiben? Frauen dürften demnach nicht einmal benennen, dass es sich um einen Mann handelt, wenn sie von einer „Frau mit Penis“ bedroht werden.
  • Warum wird geduldet, dass Transgender-Rechtsaktivisten ihre Interessen mit einer solchen Aggressivität gegen Andersdenkende vertreten, dass ein demokratischer Diskurs kaum möglich ist?
  • Warum wird geduldet, dass Frauen, die das Gesetz kritisieren und auf die Gefahren für ihre Rechte hinweisen, von Männern, die behaupten, Frauen zu sein, diffamiert und mit sexualisierter Gewalt bedroht werden?
  • Warum duldet die Ampelregierung, dass ihr für dieses Gesetz zuständiger Parlamentarische Staatssekretär im Familienministerium öffentlich applaudiert, wenn Frauen in diesem Zusammenhang von einem „Satiriker“ als „Scheißhaufen“ entmenschlicht werden?

Die Positionierung der EFiD lässt wie gesagt erkennen, dass keine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Inhalt des geplanten Gesetzes stattgefunden hat. Nachvollziehbar ist, dass nicht nur Frauen das Papier als frauenverachtend beurteilen. Nachvollziehbar ist auch, dass die Positionierung als gezielte Einflussnahme auf den Meinungsbildungsprozess der Kirchenverantwortlichen betrachtet wird.

Geschlecht zählt bittet Sie um Ihre Stellungnahme dazu, ob das Positionspapier der Evangelischen Frauen in Deutschland die offizielle Haltung der evangelischen Kirche in Deutschland zum geplanten Selbstbestimmungsgesetz zum Ausdruck bringt.

Mit freundlichen Grüßen

Hilde Schwathe
– Für die Initiative Geschlecht zählt