Unterläuft die bayerische Sozialministerin den eigenen Koalitionsvertrag?

Offener Brief an den Bayerischen Ministerpräsidenten

Der Offene Brief als PDF
22. Januar 2024

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

derzeit wird in der Zuständigkeit des bayerischen Sozialministeriums ein Bayerischer Aktionsplan Queer ausgearbeitet. Äußerungen der Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales deuten darauf hin, dass mit diesem Aktionsplan Vereinbarungen im Koalitionsvertrag und damit politische Richtlinien der Staatsregierung unterlaufen werden. Die Initiative Geschlecht zählt wendet sich deshalb an Sie als Ministerpräsidenten mit der Bitte um Klarstellung in dieser Angelegenheit.

Der Sachverhalt:

Im Koalitionsvertrag 2023 bis 2028 haben CSU und Freie Wähler unter anderem vereinbart:

  • „Alle Menschen in Bayern sollen frei, selbstbestimmt und angstfrei miteinander leben, lernen und arbeiten können – unabhängig von Alter, Herkunft, Behinderung, Geschlecht oder sexueller Orientierung.“ (S. 7)
  • „Das Selbstbestimmungsgesetz des Bundes lehnen wir ab.“ (S. 8)

Die Bayerische Staatsregierung rekurriert damit – wortgleich mit der bayerischen Verfassung – auf „Geschlecht und sexuelle Orientierung“, also auf die beiden Geschlechter weiblich und männlich und dementsprechend auf hetero-, homo- und bisexuelle Orientierungen.

Dem widerspricht allerdings das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales bereits auf seiner Website in der Ankündigung des Aktionsplans Queer, indem es sich auf „geschlechtliche Identität und sexuelle Orientierung“ bezieht.

„Geschlechtsidentität“ ist die irreführend-falsche Übersetzung von „Gender identity“ und bildet das Kernstück des geplanten sog. Selbstbestimmungsgesetzes (SBGG) der Bundesregierung. Auf Grundlage dieses ideologischen Konstrukts von Transgender-Rechtsaktivisten soll neu definiert werden, wer rechtlich als Frau oder Mann gilt. Nicht mehr körperlich-biologische Fakten sollen dafür ausschlaggebend sein, sondern eine empfundene „Genderidentität“, die über Geschlechter­klischees zum Ausdruck gebracht wird.

Staatsministerin Ulrike Scharf, die zugleich Frauenbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung ist, wiederholte diesen Bezug in ihrem „politischen Impuls“ bei der Auftaktveranstaltung zum Aktionsplan Queer im Juli 2023 sogar explizit (siehe Protokoll). Ihre Ausführungen deuten darauf hin, dass für den Bayerischen Aktionsplan Queer der „Aktionsplan Queer Leben“ der Bundesregierung, quasi die Agenda der queer-affinen Ampelpolitik, adaptiert werden soll.

So betont die Staatsministerin, es sei auch ihr Ziel, sich an „den Lebenswelten queerer Menschen zu orientieren“ und sichert „queeren Personen“ zu, ihre „Identität ausleben“ zu können. Jedwede Kritik daran verurteile sie als „Ressentiments“ der „ewig Gestrigen“, die letztlich „Diskriminierung und Hass gegen queere Menschen“ seien. Deshalb plane sie, bereits bestehende „Meldestellen“ für derartige Diskriminierungen und Hass, wie z. B. die Münchner LGBTIQ* Fachstelle Strong!, weiter auszubauen und die Fördermittel dafür deutlich zu erhöhen.

Scharfs Beitrag erweckt den Eindruck, dass sie davon ausgeht, „LGBTIQ*“ repräsentiere die Interessen einer homogenen Gruppe queerer Personen. Dies ist de facto nicht der Fall. Der Ministerin scheint nicht bekannt zu sein, dass immer mehr Lesben, Schwule und Bisexuelle sich in eigenen – von staatlicher Förderung unabhängigen – Bündnissen organisieren, weil sie sich nicht als „queer“ verstehen. Diese Frauen und Männer leben gleichgeschlechtlich oder bisexuell orientiert. Im Unterschied dazu leben Transgender und andere unter „queer“ und Sternchen gefasste Personen eine „Geschlechts-“ bzw. „Genderidentität“ aus. Genau von diesem Verständnis von „queer“, grenzen sich auch immer mehr transsexuelle Menschen ab.

Obwohl das gesellschaftlich hoch umstrittene SBGG sich nach wie vor im Gesetzesverfahren befindet, plant offenbar auch das bayerische Staatsministerium bereits, die Strukturen zu schaffen, die das Gesetz erst intendiert.

Genau damit würde jedoch verhindert, dass alle Menschen weiter frei, selbstbestimmt und ohne Angst leben, lernen und arbeiten können:

  • Wie sollen Frauen angstfrei leben, wenn die Staatsministerin und Frauenbeauftragte der Staatsregierung es forciert, dass Männer, also Personen mit männlichen Genitalien, die ihre „geschlechtliche Identität“ mit Lippenstift, Make-up und Perücke zum Ausdruck bringen, in die Frei- und Schutzräume von Frauen eindringen, um dort ihre „weibliche Identität“ auszuleben?
  • Wie können lesbische Frauen angstfrei leben, wenn Männer, die ihren Penis „Lady dick“ nennen, sogar behaupten, eine „lesbische Identität“ zu empfinden, und es als lesbischen Sex verstehen, wenn sie in weibliche Körper eindringen? Eine ausführliche Erörterung findet sich in der Stellungnahme des FrauenLesbenNetzes
  • Wie können Frauen frei und selbstbestimmt leben, wenn sie und ihre Körperlichkeit sprachlich ausgelöscht werden, indem sie unter die Abkürzung FLINTA* subsumiert werden, indem sie zu „Menstruatoren“, „Menschen, die schwanger werden“ oder „Nichtmänner mit Vorder- oder Bonusloch“ gemacht werden, damit Sprache angeblich inklusiv gestaltet ist?
  • Wie können Mütter und Väter angstfrei leben, wenn sie befürchten müssen, dass neben ihrer zehnjährigen Tochter in der Frauendusche des Schwimmbads ein Mann seine „weibliche Identität“ ausleben kann?
  • Wie können Mütter und Väter von Töchtern angstfrei leben, wenn sie in Sorge sein müssen, dass halbwüchsige Jungen auf der Klassenfahrt ihre „weibliche Identität“ im Schlafsaal der Mädchen ausleben wollen?
  • Wie können Mädchen in der Schule angstfrei lernen, wenn sie nichts mehr trinken, um den Toilettengang zu vermeiden, weil sie dort auf Jungen treffen könnten, die ihre „weibliche Identität“ ausleben?
  • Wie können Lehrkräfte angstfrei arbeiten, wenn sie gezwungen werden, dies zu akzeptieren?

Die Kritik der Frauen und Männern, Eltern und Lehrkräften, die sich an Geschlecht zählt wenden, ist keine moralische Bewertung von Personen, die als Transgender ihren Fetisch oder ihre Autogynophilie ausleben. Kritisiert wird vielmehr, dass Männern, die behaupten, Frauen zu sein, rechtlich ermöglicht werden soll, in die soziale Gruppe von Frauen und Mädchen einzudringen, sich Zugang zu deren Räumen zu verschaffen um dort ihre „weibliche Identität ausleben“ zu können.

Warum diese Kritik und die Abwehr von Frauen als Diskriminierung und „Trans*feindlichkeit“ bezeichnet werden, zeigen die Diskriminierungsgeschichten der beiden Transgender im Erklär-Video der Münchner LGBTIQ* Fachstelle Strong!. Ihnen geht es darum, aufgrund ihrer „weiblichen“ Genderidentität als Frauen anerkannt zu werden.

Frauen sind jedoch Personen weiblichen Geschlechts und nicht männliche Personen, die eine weibliche Geschlechtsidentität für sich behaupten.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, an welchen Aussagen orientiert sich die Politik der Bayerischen Staatsregierung, die Sie verantworten: an den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag oder an den Statements und Plänen der Staatsministerin für einen Bayerischen Aktionsplan Queer? Beide zusammen können es nicht sein, denn sie widersprechen sich grundsätzlich.

Eine Klarstellung im Rahmen Ihrer Richtlinienkompetenz ist hier dringend geboten.

Wir bitten um Ihre Stellungnahme.

Mit freundlichen Grüßen
Hilde Schwathe
– für die Initiative Geschlecht zählt